Rettung eines kleinen Mauerseglers

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Am letzten Sonntag wichen wir mal von unserer gewohnten Morgen-Gassi-Runde durch den Park ab und spazierten gerade zwischen den Nachbarhäusern, als Dickie etwas länger an einer Stelle schnüffelte. Dort lag ein (vermeintlich) totes Vogelküken auf dem Rücken im Gras. Bei näherem Hinsehen konnte ich jedoch ganz schwache Atembewegungen erkennen und nahm den flauschigen grau-weissen kleinen Piepmatz schnell in die Hand und mit nach Hause. So problematisch wird ein kleiner Vogel schon nicht sein und draussen lassen war keine Option, da weit und breit kein Nest oder Altvögel in Sicht waren, dafür aber doch die eine oder andere Katze gerne hier rumstreunt…
Der kleine Piepser war noch recht warm, schien also gerade erst aus seinem Nest gefallen zu sein:

Ein kleiner Mauersegler ca. 15 Tage alt

Jetzt galt es schnell die wichtigsten Fragen zu klären:
Was für ein Vogel ist das und was isst er???

Andreas meinte gleich, das sei ein Mauersegler, was sich auf der Suche nach Vergleichsfotos im Internet auch bestätigte. Anhand der Fotos schätzten wir das Alter auf 15 Tage. Die Augen waren bereits geöffnet, er hatte recht kräftige Krallen, ein braun-grau-weisses noch babyhaftes Gefieder (die Schwungfedern begannen gerade erst zu wachsen und waren noch allesamt von Federhülsen umgeben) sowie einen breiten leicht gebogenen Schnabel, wodurch er wie ein kleiner Raubvogel aussah:

Mauerseglerküken sieht aus wie ein kleiner Raubvogel

Aber weiter im Takt: Wohin mit dem Kleinen und was füttern?
Nach dem ersten Wiegen (immerhin schon 28g) setzten wir ihn in einen Karton mit einer abgedeckten Wärmflasche und einem zusammengerollten Handtuch. Nach ausgiebiger Recherche im Internet kam die erste Ernüchterung: Mauersegler dürfen nur mit Insekten wie Heimchen, Grillen, Spinnen, Drohnen oder Fliegen gefüttert werden, jede andere Nahrung wäre schädlich – mmh also doch nicht ganz so einfach… Auf keinen Fall Brot, Körner, Wurst o.ä. auch keine Würmer oder Raupen – zusammengefasst: alles was relativ einfach wäre, schied von vornherein aus. Zum Glück fand ich noch einen Artikel über Notfall-Ernährung, in dem übergangsweise Wasser mit Traubenzucker und hartgekochtes Eigelb empfohlen wurde.

Riesen-Rachen: Mauersegler-Jungvögel haben einen größeren Schnabel als man denkt

Der Kleine hatte inzwischen ziemlich großen Hunger, also wurde Wasser abgekocht und mit Traubenzucker vermischt (ca. 5g Traubenzucker auf 50ml Wasser) und abgekühlt in einer kleinen Spritze aufgezogen. Damit einfach von aussen an die Schnabelseite Tröpfchen geben und der Kleine schleckte das Wasser gierig ab. Die Sache mit dem Eigelb gestaltete sich schon wesentlich schwieriger. Im Gegensatz zu anderen Vögeln sperren Mauersegler den Schnabel i.d.R. nicht von alleine auf, das bedeutet der Schnabel muss zum Füttern vorsichtig geöffnet werden (z.B. ganz leicht den Fingernagel von der Seite zwischenschieben, auf keinen Fall etwas spitzes oder hartes verwenden!) und dann kann das Futter über der Zunge hineingeschoben werden. Leichter gesagt als getan… wenn sich das kleine Etwas dabei nur nicht so hektisch hin und her bewegen würde.

Etwas einfacher geht es, wenn der Mauersegler an einem Finger „andockt“ – unserer machte das zum Glück ab und an und verschlang ganz enthusiastisch fast den halben (natürlich gewaschenen und desinfizierten!) Finger, sobald sich dieser seinem Schnabel näherte ;-)

Am Finger angedocktes Mauerseglerküken

Jetzt „nur“ noch schnell das Futter am Finger vorbei möglichst weit in den Rachen schieben – mit dem Ei war es trotzdem eine sehr schmierige Angelegenheit und nicht jeder Brocken landete auf Anhieb im doch recht großen Vogelschnabel. Der Piepser hatte ordentlich Appetit: Er bekam erstmal stündlich Wasser und ein paar Stückchen hartgekochtes Ei. Am Sonntag war natürlich an das Kaufen von Heimchen nicht zu denken, also raus in den Park und Grashüpfer fangen!

Dickie freute sich über die längeren Gassi-Runden, in denen sie jetzt noch ausgiebiger und vermeintlich unbeobachtet wühlen konnte, während wir uns auf die Suche nach den langbeinigen Insekten machten. Aber WO sind die, wenn man sie mal braucht?! Dummerweise fing es dann auch noch an zu regnen, aber nach einer Stunde hatten wir immerhin 20 Hüpfer zusammen und auch die Frage geklärt, ob man Grashüpfer auch bei Regen finden kann :) Diese wurden (die armen Grashüpfer mögen uns verzeihen :o)) tiefgefroren, danach die langen mit Widerhaken versehenen Beine entfernt und schließlich kurz in warmem Wasser aufgetaut. Das war schon etwas gruselig, aber leider unvermeidlich :(

Die Fütterung mit Grashüpfern war wesentlich einfacher und vor allem sauberer, denn es ist sehr wichtig, dass das Gefieder das Mauerseglers nicht verschmutzt oder verklebt. Ausserdem darf es auf keinen Fall beschädigt werden. Mauersegler verbringen einen Großteil ihres Lebens in der Luft und sind daher auf ein makelloses Gefieder angewiesen. Deshalb sollte er beim Füttern mit einem Tuch locker umwickelt festgehalten werden um die Federn nicht abzuknicken. Wie bereits erwähnt, muss alles was mit dem Segler in Kontakt kommt, also Hände, Pinzetten, Spritzen o.ä. gründlich gewaschen und desinfiziert werden, um den Kleinen nicht unnötig fremden Keimen auszusetzen.

Wenn man viel Glück hat, schnappt auch ein Mauerseglerküken mal alleine nach dem Futter – entweder direkt aus der Hand oder von der Pinzette ;-)

Mauersegler frisst Heimchen aus der Hand

Mauersegler Küken schnappt Heimchen

Wir fütterten ab jetzt stündlich ca. 5 Grashüpfer und zuerst noch ein paar Brocken Ei und immer etwas Wasser (ca. 2-4 Tropfen solange bis der kleine Segler sich angewidert schüttelte, also keinen Durst mehr hatte :))

Der „Piepmatz“ verbrachte die Zeit mit Schlafen, Gefieder putzen und vor allem mit Zwitschern bzw. einem nicht gerade leisen Piepsen. Dabei schien er einen sehr ausgefeilten Annäherungs-Sensor zu haben – bei jedem Betreten des Kotballen eines jungen MauerseglersRaumes wurde das Pieps-Konzert extrem intensiviert und durch Flattern unterstützt, damit man ihn bloß nicht überhört ;-)

Auch der „Output“ war in Ordnung – ca. 2-stündlich setzte unser Mini-Mauersegler einen kleinen Kotballen ab: dunkel mit weisser Haube und von einem durchsichtigen Häutchen umgeben.

Nachts war ein paar Stunden Ruhe, aber kurz nach Sonnenaufgang ging das beharrliche und eindringliche Gezwitscher wieder los, bis es stündlich was zu futtern gab – an Arbeiten war nicht wirklich zu denken. Der kleine Segler hatte sich inzwischen ganz gut erholt, war wesentlich munterer als gestern und hatte immerhin 1g auf 29g zugenommen! Er machte schon die ersten Flugübungen, indem er sich am Handtuch festkrallte und minutenlang mit den Flügeln schlug. Diese Übungen sind wichtig zur Ausbildung einer guten Flug-Muskulatur.

Montag früh fuhr ich gleich in den Baumarkt, um kleine Heimchen und Steppengrillen zu kaufen. Später stellte sich heraus, dass mittelgroße Heimchen noch besser gewesen wären, da sie einfacher zu verfüttern sind, aber die Steppengrillen waren ok und alles war besser als stundenlang Grashüpfer zu jagen ;-)

Scottish Terrier Hündin Dickie wirft einen kurzen Blick auf den kleinen Mauersegler-Findling ;-)

Am Vormittag hatte Dickie sowieso einen Kontrolltermin in der Tierklinik Düppel in Berlin also nahmen wir den Mauersegler Jungvogel mit und stellten ihn anschließend
Frau Dr. Kerstin Müller von der Abteilung für Zoo- und Wildtiere vor. Der Kleine wurde untersucht und vermessen: Die Flügellänge betrug 54mm. Bis auf eine juvenile Katarakt eines Auges stellte sie keine Verletzungen oder Beeinträchtigungen fest und befand den Kleinen für gesund. Sie stellte ausserdem den Kontakt zum Berliner Wildtierpflegeprojekt her, in der Hoffnung den Mauersegler in ein bestehendes Nest einsetzen zu können.

Wir hatten ja bereits im Internet gelesen, dass die Handaufzucht eines Seglers sehr schwierig ist und auch mit zunehmendem Alter nicht einfacher wird. Bei dem jetzt ca. 16 Tage alten Jungvogel wäre das ein Fulltime-Job von mehreren Wochen, in denen mindestens 2-stündlich gefüttert werden müsste. Ausserdem birgt die Fütterung mit gefrorenen Futtertieren die Gefahr von Mangelerscheinungen (u.a. Vitamin-B-Mangel), so dass eine regelmäßige tierärztliche Betreuung und Vitamin-B-Injektionen erforderlich wären. Und selbstverständlich kann nichts die natürliche Aufzucht ersetzen, also wäre es toll, wenn der Kleine zu neuen „echten“ Vogel-Eltern in ein anderes Nest könnte.

Wieder zu Hause setzten wir unseren Mauersegler erstmal in einen größeren mit Küchenpapier ausgelegten Karton mit einem künstlichen Nest (ein Glasteller, der mit einem Handtuch und Küchenpapier umwickelt wurde). Ein Vogelkäfig ist für einen Mauersegler ungeeignet, da er sich am Gitter die Federn beschädigen würde.

Karton für Mauersegler

Natürlich durften auch die Wärmflasche sowie ein gerolltes Handtuch für Flugübungen nicht fehlen. Als zusätzliche Wärmequelle diente eine normale 40W Lampe (keine Energiesparlampe ;-)), die ca. 50cm über dem Vogel angebracht wurde. Die Entfernung der Lampe sollte auf jeden Fall vorsichtig ausgetestet werden, denn es darf natürlich auf keinen Fall zu warm werden!  Noch besser wäre – sofern vorhanden – eine Rotlichtlampe. Bei einem so jungen Segler sollte eine Temperatur zwischen 32°C und 35°C aufrecht erhalten werden.

Scottie Dickie überwacht die Fütterung des MauerseglersNach wie vor bekam der kleine Mauersegler stündlich sein Futter:
ca. 5-10 Heimchen und
5-7 Steppengrillen sowie ab und an noch ein paar Grashüpfer. Da kommt über den Tag ganz schön was zusammen und man hat immer gut zu tun.

Dickie überwachte die Fütterungen akribisch, konnte allerdings nicht so ganz verstehen, wieso dieser „komische Vogel“ stündlich etwas bekam und sie nicht… aber ab und an fiel auch für unser Dickchen ein Extra-Häppchen ab, insbesondere die Reste vom Ei trösteten ein wenig über diese offensichtlich so unfaire Verteilung der Fütterungszeiten hinweg ;-)

Am Dienstag hatte der kleine Vogel nach einer ruhigen Nacht wieder 1g zugenommen und wog jetzt 30g. Ich telefonierte mit dem Berliner Wildtierpflegeprojekt, die den Kontakt zu
Herrn Miethke vermittelten, der direkt in Potsdam eine Mauersegler-Kolonie betreut. In einem sehr netten Gespräch vereinbarten wir für den Nachmittag einen Termin und dann hieß es auch schon bald „Abschied nehmen“ von unserem kleinen Mauersegler :(

Noch ein paar Mal ordentlich füttern, Wärmflasche neu auffüllen und dann fuhren wir los in Richtung Waldstadt zur neuen Heimat unseres kleinen Zöglings…

Mauersegler Kolonie Potsdam

Die Mauersegler-Kolonie Potsdam besteht vorrangig aus Plattenbauten in verschiedenen Straßen, in denen sich pro Aufgang im obersten Stockwerk ca. 3 Nisthöhlen befinden. Diese sind bequem vom Treppenhaus erreichbar, so dass die Beobachtung und statistische Auswertung des Brutverhaltens relativ problemlos möglich sind:

Nisthöhle Potsdamer Mauersegler Kolonie

Nach eingehendem Studium des Nisthöhlenverzeichnisses fand Herr Miethke auch für unser Mauersegler-Küken schnell das richtige Nest:

Unser Mauersegler Jungvogel wird in ein neues Nest gesetzt

Es befanden sich 2 ca. 10 Tage alte Jungvögel darin, die zwar etwas kleiner waren, aber das sei kein Problem. Bis zu 3 Jungvögel würden die Eltern problemlos versorgen und in Notfällen, wenn alle Nester gut besetzt sind, habe es auch schon mit 4 Jungvögeln pro Nest geklappt. In diesem Jahr war unser „Kleiner“ aber der erste Notfall und es gab noch genug Platz :)

Unser kleiner Mauersegler in seinem neuen Nest mit 2 ca. 10 Tage alten Vogel-Kumpanen

Ein letzter Blick :( Machs gut kleiner Mauersegler, hoffentlich nehmen dich deine neuen Eltern an und fall nicht wieder aus dem Nest!!!

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» Besuch bei unserem Mauersegler

Für alle Interessierten hier noch ein paar Links zu Webseiten, die uns mit ihren ausführlichen Infos sehr weitergeholfen haben:

Der obige Text ist lediglich ein Erfahrungsbericht und keine Anleitung. Bei Auffinden eines Jungvogels sollte immer tierärztliche bzw. fachkundige Unterstützung in Anspruch genommen werden.